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2016-10-13

MZIN NEWS: ARCH + (D) — #225 LEGISLATING ARCHITECTURE



Gesetze haben eine materielle Form. Das ist das vordergründige Thema dieser Ausgabe. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich Baugesetze und Bauordnungen genauso wie Hygiene- und Sicherheitsvorschriften und das Steuerrecht in Architektur und Stadt manifestieren. Jeder praktizierende Architekt, jede Stadtplanerin kann davon ein Lied singen. Meist ist es kein Liebeslied, das dann gesungen wird – noch nicht einmal eines von enttäuschter Liebe. Das Recht wird vielmehr als Gegner angesehen, der die Freiheit der Architektur beschränkt und gute Architektur verhindert – ein Gegner, gegen den man ankämpfen muss. Die Disziplin ist voll von Anekdoten, die von den Absurditäten von Baurecht und Bauordnungen handeln.
Aus dieser Perspektive wird der rechtliche Rahmen als externes System verstanden, das der Praxis a priori Zwänge auferlegt, die es zu unterminieren, zu brechen, zu vermeiden oder zu missachten gilt. Die Architektin ist in dieser Erzählung die Heldin, die mit schlauer List in den Kampf gegen eine vielköpfige Hydra zieht, der, sobald ihr ein Kopf abgeschlagen wird, zwei Köpfe nachwachsen. Ein vergeblicher Kampf also. Und ein unpolitischer Kampf obendrein. Denn das Recht als etwas der Disziplin Äußerliches zu betrachten bedeutet, in der Tradition des obrigkeitlichen Denkens gefangen zu bleiben, in der es nur ein binäres Handeln gibt: das Recht entweder als gottgegeben hinzunehmen und brav zu befolgen oder den Trickster zu geben, der dem System ein Schnippchen schlägt.
Beide Haltungen sind unpolitisch. Beide akzeptieren das System je auf ihre eigene Weise. Darauf weist Rem Koolhaas in der ihm eigenen Diktion hin, wenn er im privaten Gespräch mit Arno Brandlhuber, mit dem wir dieses Heft gemeinsam konzipiert haben, sagt: “I would say a political program is more important than new rules or replacing rules with other rules.” Wie jedoch können Architektinnen ein politisches Programm entwickeln? Ist das überhaupt möglich, ohne gleich ein politisches Manifest schreiben zu müssen? Ein erster hinreichender Schritt wäre die Einsicht, dass sich durch die rechtlichen Bedingungen Machtstrukturen in die baulichen Strukturen einschreiben.
Diese Publikation unternimmt den Versuch, die immanente Bedeutung gesellschaftlicher Regelungssysteme in Bezug zur Architektur herauszuarbeiten. Ihren Ausgangspunkt hat sie in dem filmischen Beitrag von Arno Brandlhuber und Christopher Roth für die 15. Architekturbiennale in Venedig 2016. Der Film zeigt Zusammenschnitte von Gesprächen, die die beiden mit einer Reihe von Architekten zum Thema „Legislating Architecture“ geführt haben, die hier in voller Länge abgedruckt sind. In Kooperation mit Arno Brandlhuber und Tobias Hönig hat ARCH+ das Thema jedoch viel weiter ausgearbeitet. Mit dem doppeldeutigen deutschen Untertitel „Gesetze gestalten!“ soll zudem betont werden, dass Architektur nicht nur durch Regelungen bestimmt wird, sondern auch selbst Regelungen erzeugt.
Nach einem einführenden Teil arbeiten wir anhand von Fallstudien heraus, wie durch Gesetze die gebaute Umwelt und die Architekturpraxis geprägt werden. Warum haben Städte ein bestimmtes Aussehen? Wie können sich Architektinnen und Planer Vorschriften wie Bauordnungen oder Bebauungspläne als proaktive Instrumente und Entwurfswerkzeuge aneignen statt sie als Hindernis zu betrachten? Wie können wir die Auseinandersetzung mit Regularien als kreatives Unterfangen verstehen – „das heißt nicht als Restgröße, so als käme Kreativität trotz der Regeln vor, sondern als aktive Kraft, deren Kreativität innerhalb der Regeln zu suchen ist“, wie Nick Beech im Ausblick dieser Ausgabe schreibt?
Im zweiten Teil untersuchen wir das Phänomen aus der entgegengesetzten Blickrichtung und fragen, inwiefern durch Gestaltung Gesetze produziert werden. Die Argumentationslinie ruft dazu auf, die Gestaltung von Regeln als integralen Bestandteil der architektonischen Praxis zu begreifen. Können Architektinnen maßgeblich daran mitwirken, die Rahmenbedingungen ihrer eigenen Praxis selbst zu schaffen? Können wir eine selbstbewusste Architektur skizzieren, die den Status quo in Frage stellt, in dem sie als Katalysator für eine Neuaushandlung der Verhältnisse dient?


--- euro 22.00