Vor 20 Jahren definierten Blumfeld mit L’Etat Et Moi endgültig eine neue deutsche Popsprache. Anlässlich des Jubiläums und ihrer ersten gemeinsamen Tour seit 2007 sprechen die Protagonisten von damals exklusiv in SPEX über die Konzeption des wegweisenden Albums, über die Gefahren nostalgischer Verklärung, die Gründe für das Comeback, das Verhältnis zwischen Blumfeld und SPEX sowie über das künstlerische Selbstverständnis der vielleicht wichtigsten deutschen Band aller Zeiten.
plus:
Intellektuell abgefederter Weltschmerz – Edo Reents über L'Etat Et Moi
Alles und jeder stand zur Debatte – Kristof Schreuf über die Rezeption der frühen Blumfeld in der Hamburger Szene
EINKLANG
Neues aus Musik, Kunst und Literatur
GAZELLE TWIN, BEN KHAN, NAO, XAVIER DOLAN, THE FAT WHITE FAMILY, KAI J. SASSE, MATTHEW HERBERT
POPKULTUR
INTERPOL: So ein Bildungsroman-Ding
TEXT: Daniel Gerhardt FOTOS: Christoph Voy
Am Anfang ihrer Karriere waren Interpol die Strokes für Menschen mit echten Problemen: geschniegelte und gehypte New Yorker, die sich im Großstadtleben aufbrauchten und mit ihrem inzwischen historisch-kritisch verewigten Debütalbum Turn On The Bright Lights eine fast vergessene Form der Rockmusik wiederbelebten. Musikalisch stagnierte die Band danach schnell. Auf der fünften Interpol-Platte El Pintor bringt Sänger Paul Banks aber eine persönliche Entwicklung zum Abschluss, die ihn endlich so reif erscheinen lässt, wie seine Band vom ersten Song an klang. Das wird auch seine Tante freuen.
SPOON: Das Gegenteil von Twee
TEXT: Tino Hanekamp
Hierzulande gelten Spoon immer noch als Kritikerlieblinge. Deutschland, was ist los mit dir? SPEX-Leser, wie steht’s um dich? Hast du diese Band auf dem Zettel? Spoon sind das Spannendste, was der Rock’n’Roll derzeit zu bieten hat, aber sie sind natürlich längst schon wieder weiter. Ihr neues Album They Want My Soul ist ein scharfes Schwert gegen prätentiöse Folksänger und die Plastikpimmel dieser Welt. Am Ende essen wir Pilze.
Vorspiel für MERET BECKER: »Nichts ist schlimmer als ein singender Tatort-Kommissar«
TEXT & MUSIKAUSWAHL: Torsten Groß FOTOS: Claudia Rorarius
Zuletzt war es ein bisschen still geworden um Meret Becker: Sie hat ihre Tochter erzogen, auf dem Land gelebt, ist viel gereist und brauchte eine Weile, um den Tod ihres Stiefvaters Otto Sander zu verarbeiten. Nun aber gibt’s Becker auf allen Kanälen: Nächstes Jahr tritt die Schauspielerin das Erbe der Berliner Tatort-Ermittler an, bereits diesen Herbst rückt ein neues Album – Deins & Done – die Musikerin Meret Becker wieder in den Vordergrund, parallel hat der Künstler Ralph Schmerberg das Album verfilmt. In dessen Berlin-Kreuzberger Atelier gingen wir mit dem Multi- talent einige der wichtigen musikalischen Stationen ihres Lebens durch.
MUTTER: »Ich bin auch kein besserer Mensch«
TEXT: Max Dax FOTO: Christian Werner
Das Dutzend ist voll: Seit den Achtzigerjahren veröffentlichen Max Müller und seine Band Mutter in regelmäßigen Abständen Platten, in diesen Tagen erscheint Text und Musik. Den allergrößten Teil dieser Zeit waren Mutter die Band, die keiner kennt. In den vergangenen Jahren wurden sie überraschenderweise vom Feuilleton entdeckt und ständig irgendwo erwähnt. Dabei machten und machen Mutter, was sie eigentlich immer getan haben: sehr besondere, kompromisslose Musik. Ein Gespräch mit Max Müller über Alltagsbeobachtungen, King-Kong-Filme und die Hölle Mittelmaß.
COLD SPECKS: Von Wölfen und rostigen Messern
TEXT: Thomas Vorreyer FOTO: Jennifer Endom
In der Abgeschiedenheit des südwestlichen Englands skizzierte die kanadische Musikerin Al Spx die Songs für das zweite Album ihrer Band Cold Specks. So entstand ein mit düsteren Metaphern und ungebremster Experimentierfreude angereichertes Werk, das weitgehend mit der Folk-Tradition des Vorgängers bricht.
TRÜMMER: Potenziell alle ansprechen
TEXT: Dennis Pohl FOTOS: Christian Werner
Paul Pötsch mag aussehen wie der junge Jochen Distelmeyer und so ähnlich singen. Auch mag seine Band aus Hamburg kommen, Gitarren verwenden und in deutscher Sprache texten. Alles unerheblich. Wer der Gruppe Trümmer im überkommenen Referenzrahmen der »Hamburger Schule« begegnet, übersieht, dass sie viel mehr ist als Wiedergänger des hanseatischen Indie-Hochadels – eine Band, mit der sich die heutige Generation identifizieren kann.
Songtextkritik: JENS FRIEBE »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus«
TEXT: Christina Mohr
KOLUMNEN & SERIEN
WIE WIR LEBEN WOLLEN N° 2: Pop im Museum
TEXT: Frank Spilker
Bowie im Victoria and Albert Museum und im Martin-Gropius-Bau, Björk im MoMA, originalgetreue Werkaufführungen von Sonic Youth, Gang Of Four, Slayer und anderen sowie immer häufiger VIP-Packages und Sonderhäppchen für finanzkräftige Fans – selbst bei Konzerten von Bands wie den Black Keys. Sind das einzelne Phänomene oder der Beweis, dass das Subversivitätsversprechen des Pop endgültig gegen die gediegen-staatstragende Anerkennung der sogenannten Hochkultur eingetauscht wurde? Die-Sterne-Sänger Frank Spilker über Musealisierungstendenzen und anderes Unbehagen.
TAXI FÜR RÜTZEL: Kurort Jacksonville
TEXT: Anja Rützel ILLUSTRATION: Patrick Klose
GOOD MORNING AMERICA: Ein potenter Move
TEXT: Steven Lee Beeber ILLUSTRATION: Patrick Klose
POFALTE: Relativ süß
TEXT: Holger in't Veld ILLUSTRATION: Patrick Klose
POPKULTUR
Modegespräch mit WOLFGANG JOOP: »Die gucken mich an, als wäre ich 200 Jahre alt!«
TEXT: Jacqueline Krause-Blouin FOTOS: Giovanni Castell
Er polarisiert und fasziniert gleichermaßen: Wolfgang Joop ist Unternehmer, Künstler, Designer, Person des öffentlichen Lebens – und manchmal auch Gefangener seines Talents. Ohne den Mann mit dem berühmten Ausrufezeichen hinter seinem Namen wäre die deutsche Modelandschaft ein blasses Terrain. SPEX traf den 69-Jährigen in seiner Potsdamer Villa Wunderkind und sprach mit ihm über Mode als Illusionstechnik, die Bürde des Künstlers und das Hardcore-System Fernsehen.
NIGHT MOVES: Die Natur ist nicht unschuldig zu haben
TEXT: Esther Buss
Manchmal muss man eben einen Staudamm sprengen, wenn man die Welt verändern will. Nur um nach der Tat zu bemerken, dass sich die größten Veränderungen vor allem im eigenen Kopf abspielen. Die US-Regisseurin Kelly Reichardt erzählt mit Night Moves ein konzentriertes Personendrama rund um drei Umweltaktivisten und weist mit dem Film doch weit über das Biobauern-Kommunen-Setting hinaus: auf die großen amerikanischen Mythen.
MAPS TO THE STARS: Die Seele ist ein perverses Konzept
TEXT: Patrick Heidmann
Für die Dreharbeiten zu seinem 21. Film wagte sich der kanadische Regisseur David Cronenberg erstmals nach Hollywood. Maps To The Stars ist einmal mehr eine zynische Abrechnung mit der Leere und Kaputtheit der Traumfabrik. Und funktioniert zugleich wie eine antike Tragödie im Celebrity-Zeitalter der aufgepumpten Lippen und drogensüchtigen Teenie-Stars. Gnadenlos, giftig, genüsslich böse.
Filmkritiken
Everyday Rebellion, Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste, Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit
Bilder, die die Welt bewegten: FLEISCH
TEXT: Drehli Robnik
Monika und Mike, sie Deutsche, er US-Amerikaner, frisch verheiratet, liegen nach dem Sex in einem Motelbett nahe Las Cruces, New Mexico. Im Parallelschnitt fährt ein Wagen der City Ambulance mit Sirene vor; die Motelwirtin dirigiert ihn zu Monikas und Mikes Apartment. Die achten nicht darauf, springen knapp bekleidet durch das Hinterfenster in die Halbwüste, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Jazz-Rock setzt ein, Abendrot und Gegenlicht, Reflexe auf ihrer blonden Mähne und seinem schwarzen Haar. Das Paar albert herum: »Du bist verrückt«, sagt Mike. »Nein, ich bin romaaantiiisch!«, erwidert Monika und jauchzt. Die Sonne versinkt. Monika: »Wieder ein Tag …« »… vom Rest unseres Lebens«, ergänzt Mike, worauf sie Beethovens Fünfte intoniert. Beide lachen, tanzen Walzer. Da sieht Monika den Rettungswagen auf sie zukommen: »Du, was will der?« »Von uns doch nichts«, meint Mike. Aber Monikas Lachen gefriert, Zoom auf ihr entsetztes Gesicht. »Du, Mike, die kommen! Renn!« Sie läuft kreischend in die Wüste, sieht, wie Mike von zwei Sanitätern betäubt und entführt wird. Dann fährt der Wagen ihr hinterher. Malerische Lichtreflexe, verträumter Jazz-Rock.
ÄTSCH, DU VERSTEHST MICH NICHT! Theoriejargon in Literaturwissenschaft und Popkritik
TEXT: Thomas Hübener
Die Literaturwissenschaften werden von sektiererischen Interpretationskartellen und Theoriegurus beherrscht. Sie haben den Thron des Autors usurpiert und hassen Literatur. Ihre Lieblingswaffe ist der Jargon. Das sagt mit dem Literaturprofessor Ulrich Horstmann einer, der es wissen muss. Der Wunsch des Sekundärliteraten, auch mal primär zu sein, fand sein Pendant lange Zeit im Bildungsposing der Popkritik.
Literaturkritiken
Chantal Mouffe Agnostik, Lars Popp Haus der Halluzinationen, Tom Holert Übergriffe, Dave Eggers Der Circle
TOD ODER LIEBE
TEXT: Jacqueline Krause Blouin FOTOS: Tinka & Frank Dietz
Capulets und Montagues. Der Kostümball, der Balkon, die Nachtigall. Wenn es auf der Welt nur noch eine einzige Liebesgeschichte geben dürfte, es wäre die Geschichte von Romeo und Julia. Sie sind das power couple der Theaterliteratur, nie war Paar-Branding erfolgreicher. Aber dies ist nicht nur die Geschichte von Romeo und Julia, sondern auch die von Anton und Anja. Anton Spielmann von 1000 Robota und Anja Plaschg alias Soap & Skin.
KID KOALA: Männer, die mit Puppen spielen
TEXT: Johannes von Weizsäcker FOTOS: Reynard Li
Kid Koala gilt als HipHop-DJ von Gottes Gnaden. Mit seinen Turntables könnte er wohl auch die Mondlandung samt Geräuschkulisse nachstellen. Stattdessen entschied er sich für das hier: Das Puppentheaterstück Nufonia Must Fall bringt eine selbstgeschriebene und -gezeichnete Graphic Novel des Kanadiers auf mehrere Minibühnen, deren Geschehen zu Livemusik auf eine Kinoleinwand projiziert wird. Besuch einer multidisziplinären Weltpremiere in Toronto.
KRITIKEN
Album der Ausgabe: RUSTIE Green Language
Morrissey, Banks, Mirel Wagner, Helikon, Niels Frevert, J Mascis, A Tribute To Nils Koppruch &Werkschau, Sinkane, My Brightest Diamond, Plastikman, Wolves In The Throne Room, The Bug, Pere Ubu, Die Sterne, Busdriver, Blonde Redhead, Merchandise, The New Pornographers, Irmler Liebezeit, Gut und Irmler, Alvvays, OKmalumkoolkat, Z, Affe Iku, Mr Raoul K, Karl Hector, The/Das, Zoot Woman
Werke XIX – Willkürlich und anlassfrei zusammengestellt von Diedrich Diederichsen
Jacaszek, Kwartludium, Dave Phillips, Modell Doo, Irmler Liebezeit, Akira Sakata, Xavier Charles
Odyshape – Selten gehörte Musik mit Joachim Ody
Richard Glover, Exaudi, Hild Sofie Tafjord, Stine Janvin Motland, Morten J. Olsen, Rutger Zuydervelt
Gegenwartskunde – Popwelt mit Klaus Walter
Trans AM, Arto Lindsay, Luke Haines
Punchzeilen – Rap mit Marcus Staiger
Ahzumjot, Fiva, Chakuza
Direct Cuts – Clubmusik mit Holger Klein
Roman Flügel, Leon Vynehall, Auden, Moiré
SPEX CD 119
ZUSAMMENSTELLUNG: Daniel Gerhardt
1. Interpol »All The Rage Back Home«
2. Spoon »Rent I Pay«
3. Cold Specks »Absisto«
4. Trümmer »1.000 Kippe«
5. Rustie »Attak« (feat. Danny Brown)
6. Die Sterne »Innenstadt Illusionen«
7. J Mascis »Every Morning«
8. The Bug »Function« (feat. Manga)
9. Busdriver »Eat Rich«
10. Mutter »Wer hat schon Lust so zu leben?«
11. Jens Friebe »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus«
12. Mirel Wagner »The Dirt«
PERSPEKTIVE
KLEIDER MACHEN HEUTE
TEXT: Diana Weis
Jung, wild und gegen alle Regeln – angesagte Modelabels geben sich gern szenenah und subversiv. Bei näherem Hinsehen entpuppen die Macher sich jedoch oft als reaktionärer Altherrenclub. Der tiefe Fall der Hipsterikonen Dov Charney und Terry Richardson zeigt den Fehler im System: Ironie macht aus einem Spargeltarzan noch lange keinen Rockstar, und ein Schwein mit Schnauzbart und Nerdbrille bleibt trotzdem: ein Schwein.
Rückblende: DOLLY PARTON
O2 World, Berlin, 6.7.2014
TEXT: Jacqueline Krause-Blouin FOTO: Roland Owsnitzki
AUSKLANG: smoking cat, 2014
Exklusiv für SPEX von Dennis Busch
euro 5.90